Über die Schwierigkeiten einer Recherche über die Ukraine

Auch für jemanden, der sich etwas mit der osteuropäischen Geschichte auskennt, ist es erstaunlich schwierig, über Recherchen im Internet seine Kenntnisse über die Ukraine zu erweitern. Russische Trollfabriken haben viele Webseiten über die Geschichte und die Sprache der Ukraine mit Falschinformationen „verseucht“. Dabei treten sie auch unter der Flagge seriöser Quellen auf.

Eine verstörende Antwort auf die Frage „War Kiew früher russisch“ kommt vom ARD-Sender Phoenix. Phoenix genießt eigentlich Vertrauen, weil es ein gebührenfinanzierter staatlicher Sender ist, der z.B. die Bundestagsdebatten live überträgt.

In der Antwort, die Phoenix liefert und die an erster Stelle der Suchergebnisse steht, sind drei Falschaussagen enthalten: Das 482 gegründete Kyjiw ist nicht die „Mutter aller russischen Städte“. Das ist ausgeschlossen, weil der Begriff „Kyjiwer Rus“ nichts mit Russland zu tun hat. Der Begriff „Rus“ kommt aus der Wikingerwelt und bedeutet so etwas wie „Rudermannschaft“. Und das 1187 gegründete Moskau war Sitz des „Moskoviter Reiches“, nicht des russischen Reiches. Diese Bezeichnung setzte sich erst viel später durch. Aber Phoenix gibt die Geschichtsfälschung des russischen Präsidenten Putin eins zu eins wider.

Putin hat im Juli 2021 unter seinem Namen einen „wissenschaftlichen“ Artikel zur Einheit von Russland und der Ukraine veröffentlichen lassen. Wer dazu mehr erfahren möchte, kann die Rezension des Aufsatzes von Prof. Andreas Kappeler lesen. Kappeler ist ein seit Jahrzehnten anerkannter deutscher Historiker mit dem Schwerpunkt Osteuropa.

Ich habe versucht, etwas mehr über die mit auch mit meinem Geld produzierte Sendung von Phoenix herauszubekommen. Als Autor und Produzent von „Auf der Suche nach dem Alten Russland“ wird ein gewisser Frank Kastenholz angegeben. Ich wollte mit ihm Kontakt aufnehmen. Vielleicht war er wirklich ahnungslos und hat sich trotz des üppigen Budgets für ARD-Dokumentationen einen Studenten der Geschichte gespart, der die Veröffentlichung von Unsinn hätte vermeiden können.

Ich fand einen Frank Kastenholz, der Filme für die ARD und andere macht. Aber es gibt keinerlei Informationen, wo und wie er erreichbar ist. Das ist nachvollziehbar. Merkwürdig ist aber, dass auch meine Kontakte in der deutschen Filmszene den Mann nicht kennen. Die Szene ist klein, man kennt sich. Dieser Frank Kastenholz bekommt offenbar öffentliche Mittel von der ARD, ohne dass jemand weiß, wer er ist.

Das erinnert an das Kaufmaul Hubert Seipel, der für viel Geld von Putin in vielen Talkshows und „Filmdokumentationen“ die Sicht Putins verbreitete. Ohne dass er offenlegte, dass er dafür vom russischen Staat bezahlt wurde. Immerhin ist er aus dem Journalistenverein Netzwerk Recherche ausgeschlossen worden, nachdem die Zahlungen bekannt wurden. Aber seinen Grimme-Preis durfte er behalten. Wenn er Hitler so vertreten hätte, wäre er wohl stärker sanktioniert worden. Man fragt sich, wie solche Leute sich morgens im Spiegel anschauen können.

Die verfälschenden Angaben zur ukrainischen Geschichte sind auch international zu finden. Zumindest in Spanisch, Englisch und Russisch. Das konnte ich nachprüfen. Ich musste an den Roman von George Orwell mit dem Titel „1984“ denken. Dort ist der Held Winston Smith damit beauftragt, die Geschichtsschreibung rückwirkend in allen Texten und Bildern nach den Vorgaben des Gr0ßen Bruders anzupassen. Irgendwann verliert er den Verstand.

Bitte, lieber Leser, liebe Leserin, lesen sie weiter: Die Verfälschung historischer Entwicklungen in der Ukraine durch die Trollfabriken betrifft auch die Information über die ukrainische Sprache. Putin sieht im Ukrainischen einen russischen Dialekt. So schreibt er in seinem „Geschichtsaufsatz“, so steht es im englischen Wikipedia.

In Wikipedia kann im Grunde jeder zu allen Themen etwas schreiben. Allerdings gibt es einen Prüfprozess, der jedoch nicht allgemein bekannt ist.

In dem Beitrag zu der Ruthenischen Sprache haben russische Trolle eine „Übersetzung ins Russische“ eingefügt. Ruthenisch wird demnach als „russische Sprache“ übersetzt. Wer das so liest, übersieht vielleicht den wichtigen Hinweis „failed verification“. Der kommt von den Wikipedia-Editoren, die Falschinformationen aufdecken.

Die zwei in dem Beitrag angegebenen Quellen habe ich mir wie die Editoren angesehen. In den Artikeln ist keine Rede davon, das Ruthenisch, eine Vorläufersprache des Ukrainischen und des Belorussischen, als Russisch zu bezeichnen ist. Jemand hat hier Quellen angegeben, die nichts mit dem Wikipedia-Eintrag zu tun haben. So funktioniert heute Geschichtsfälschung.

Ein weiteres Beispiel für die Verfälschung historischer Fakten zeigt ein Text der Initiative „Myth Detector“. Diese wird u.a. von Facebook finanziert, um die gröbsten Lügen im Internet zu widerlegen.

Geprüft wurde die von Putin und den Trollfabriken verbreitete Aussage, die russische Sprache sei wesentlich älter als die ukrainische. Eine nachweisbar falsche Aussage.

Man könnte darüber hinweggehen. Aber es darf nicht vergessen werden, dass diese Lügen eine Haltung gegenüber der Ukraine stärken, die sagt, die Ukraine gibt es gar nicht als eigenständige Nation. Das ist in Russland heute ein offiziell genannter Kriegsgrund – jedenfalls sprach Putin am Vorabend der Invasion der Ukraine vor allem darüber und weniger über die NATO-Gefahr. An die der normale Russe auch nicht glaubt.

Fazit: Wer vor dreißig Jahren wie ich dachte, Information wird für die Menschheit einfacher und kostengünstiger, ist eines Besseren belehrt. Wenn Staaten anfangen, die Geschichte umzuschreiben, wird das Internet zu von einer Chance zu einem Problem.

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