Mein Bruder lebt und arbeitet seit 25 Jahren in Saratoga Springs/NY. Er berichtet: Donald Trump hat in der Stadt bei der Wahl knapp verloren. Aber in den umliegenden ländlichen Gegenden, wo die Superreichen und die Armen leben, gewann Trump mit großem Abstand.
Die Aktualität der vielen Konflikte in der Welt verdeckt die grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in der westlichen Welt vollziehen. Die Akzeptanz der liberalen Demokratien in Europa und Nordamerika erodiert trotz unbestreitbarer wirtschaftlicher Erfolge. Auch in Saratoga Springs.
Fast überall erstarken radikale Bewegungen und Parteien. Der Wahlerfolg von Donald Trump in den USA ist ein Symptom dieser Erosion. Das Pendel, das in der Zeit nach dem II. Weltkrieg in Richtung Freiheit, Menschenrechte und Demokratie ausschlug, schlägt jetzt in die andere Richtung. Für Deutschland und Europa kann das gefährlich werden.
Der Erfolg von Donald Trump
Donald Trump wird unterschätzt. Obwohl er bei einer hohen Wahlbeteiligung mit der Mehrheit aller Stimmen die Präsidentenwahl gewonnen hat, wird so getan, als stünde er nicht für die „echten“ USA.
Im Staat New York erzielte er als republikanischer Kandidat das beste Wahlergebnis seit 40 Jahren. Obwohl seine Wahlkampfauftritte oft wirr waren. Obwohl er in peinlichen Prozessen verurteilt wurde. Obwohl er am 6. Januar 2021 einen Pöbel zum Sturm auf das Weiße Haus anstachelte.
Trump ist kein seniler Idiot. Das erste TV-Interview nach seinem Amtsantritt lief am 24. Januar 2025 auf Fox News. Sean Hannity führte das Interview. Hannity ist hierzulande am besten für ein Interview mit Vladimir Putin im letzten Jahr bekannt. Er hat auch über den russischen Angriffskrieg in einer Deutlichkeit berichtet, die man in unseren Fernsehsendern selten sah. Trump war in dem Interview besser vorbereitet als Hannity.
Bei dem Weltwirtschaftsforum in Davos nahm Trump über eine Videoschaltung teil. Dabei wirkte er souverän und geistig voll auf der Höhe. Über seine Rede lässt sich inhaltlich streiten. Aber jeder konnte sehen, dass er mit klaren Positionen das Präsidentenamt übernommen hat.
Am besten lässt sich seine generelle Zielsetzung mit dem Begriff „Disruption“ bezeichnen. Der Republikaner Trump will die USA wirklich „durchschütteln“ und „wieder groß machen“.
Das Pendel schlägt zurück
Das Mandat dazu hat er, weil sich die Mehrheit in den USA nicht mehr repräsentiert fühlt. Und besonders nicht durch Kamala Harris, die Kandidatin der Demokraten. Letzte Woche veröffentlichte die New York Times die Ergebnisse einer Umfrage, in der es um die Rangfolge der Themen geht, die US-Amerikaner und die Parteien beschäftigen.
Mit Ausnahme der Gesundheitsversorgung stehen Trumps Republikaner für die drei Themen, die US-Amerikanern am wichtigsten sind.

Trump hat erkannt, dass die Politik den Durchschnittsbürger in den USA „verloren“ hat. Der radikale Feminismus der Linken, die obligatorischen „Diversity, Equity, and Inclusion (DEI)“- Programme in allen Organisationen und Unternehmen, die hohen Steuern wegen vermeintlich unnötiger Staatsausgaben, die unkontrollierte Zuwanderung von Kriminellen – all das stört die Mehrheit der US-Amerikaner.
Damit ist nicht gesagt, dass die öffentliche Wahrnehmung immer mit den Fakten übereinstimmt. Nehmen wir die Einwanderungspolitik. Sie ist liberaler als in Europa. Auch ohne Aufenthaltstitel können Zuwanderer einen Führerschein und eine Sozialversicherungsnummer erhalten. Einige dienen sogar in der US-Armee. Mittlerweile leben etwa 11 Mio. undokumentierte Einwanderer in den USA.
Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Kriminalität unter den Undokumentierten niedriger ist als in der einheimischen Bevölkerung. Aber einige Einwanderer sind auch Delinquenten, deren Taten besonders kritisch gesehen werden.
Noch etwas anderes fällt auf. Der in den USA geführte kritische Diskurs über die Schwächen einer liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beschäftigt ernstzunehmende Intellektuelle. Die meisten dürften in Deutschland weitgehend unbekannt sein. Sie sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausrichtung.
Ayn Rand – Platz da für die Spitzenleute!
Das von Ayn Rand (1905-1982) entwickelte Gesellschaftskonzept des Objektivismus plädiert für einen radikalen Individualismus. Ayn Rand war eine Schriftstellerin und Philosophin, die aus der Sowjetunion in die USA einwanderte. Sie beschreibt in ihren Hauptwerken den Typ des leistungsbereiten Menschen, der kompromisslos nach dem Prinzip der „Moral des rationalen Eigennutzes“ handelt.
Ich habe ihr Hauptwerk „Atlas Shrugged“ (auf Deutsch etwa „Der Riese schüttelte sich kurz“) eher zufällig als Student gelesen. Ohne auf den Inhalt näher einzugehen, die Geschichte dreht sich um die Kreativen, Innovativen und Macher, die keine Lust haben, als Rädchen in einem (US-amerikanischen) Wohlfahrtsstaat zu funktionieren. Sie erschaffen sich eigene Imperien und eine neue Welt. Wer denkt da nicht an Elon Musk.

In Ayn Rands Philosophie findet sich ein Teil der US-amerikanischen Tech-Elite wieder. Menschen, die es in zu ihren Lebzeiten geschafft haben, große Dinge zu bewegen und damit ungeheuer reich zu werden.
In Deutschland gibt es solche Unternehmertypen kaum. Der typische deutsche Milliardär hat sein Vermögen geerbt und ist froh, wenn er es nicht verliert.
Post-Liberalismus – Protektionismus, nationale Idee und starker Staat
Eine andere Denkschule in den USA ist der Post-Liberalismus, der nicht in das Schema der europäischen Rechts-Links-Polarität passt. Wie der Name andeutet, ist diese Gesellschaftstheorie eine Weiterentwicklung des Liberalismus, der als gescheitert angesehen wird. Einer der führenden Köpfe dieser Denkschule ist Patrick Deneen, ein Professor an einer katholischen Universität in Indiana.

Seine Kernthesen betreffen hauptsächlich die Innenpolitik: Offene Märkte haben viele Verlierer unter den einfachen Leuten geschaffen, als die Produktion aus den USA nach China, Mexiko oder sonst wohin verlegt wurde. Der alleinige Fokus auf das Individuum und Identitätspolitik führte zu einer Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Schließlich hat der Staat im Liberalismus versagt, weil er Sonderinteressen dient, aber nicht der Nation als Ganzes.
Patrick Deneen propagiert einen „Regime Change“, einen Wechsel des Gesellschaftsmodells.
Trump tut genau das, vermutlich ohne den „Post-Liberalismus“ zu kennen. Sein Vize-Präsident J.D. Vance gilt dagegen als Kenner des Post-Liberalismus. Er ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sein autobiografisches Buch „Hillbilly Elegy – The Crisis of a Family and a Culture in Crisis“ ist absolut lesenswert.
Dass sein deutscher Verlag eine Neuauflage des Bestselles aus vermutlich ideologischen Gründen abgelehnt hat, bezeichnet Vance als „liberal cancel culture“.
Für Politiker wie J.D. Vance führen die deutschen und europäischen Wirtschafts- und Politikeliten die Debatten von gestern. Der Post-Liberalismus sieht Zölle zum Schutz der US-amerikanischen Industrie als legitim an. Er ist gegen den Schutz der individuellen Schattierungen, wenn er zulasten der Gesellschaft wirkt. Und er sieht in dem Staat den Verantwortlichen für die Entwicklung der Gesellschaft, nicht als Nachtwächterstaat neo-konservativer Prägung.
Trad Wives – Die Rückkehr der Hausfrau
Und dann ist da das Phänomen der Trad Wives, das kein theoretisches Konzept ist, sondern ein Trend. In Europa wird meist abschätzig über Frauen geurteilt, die bewusst eine traditionelle Geschlechterrolle annehmen. Die Trad Wives sehen sich dagegen selbstbestimmt und als die echten Feministinnen, weil sie das tun, was sie tun wollen. Dazu gehört, dass sie zuhause bleiben und sich dort verwirklichen. Trad Wives veröffentlichen ihre Geschichte auf TikTok, Instagram und auf YouTube als Erfolgsgeschichten. Mit denen sie teilweise auch viel Geld verdienen.
Die Realität der Trad Wives ist unabhängig von der Hautfarbe. Weiße und schwarze Frauen wollen so leben, wenn sie es können. Was hierzulande als unzeitgemäß und fremdbestimmt abgetan wird, ist in den USA respektabel.
Wir haben dagegen Feministinnen wie Alice Schwarzer, die Putin „versteht“, obwohl seine Gesetze Frauen zu Objekten degradieren.
Trump zerstört den traditionellen US-Liberalismus
Trump ist ein Populist, aber er hätte nicht gewonnen, wenn er nicht einen Nerv in der US-Gesellschaft getroffen hätte.
Alles, was von Trump irgendwie als „liberales Erbe“ angesehen wird, will Trump zerstören. Die ersten Wochen seiner Präsidentschaft haben schon jetzt sehr viel verändert. Anders als bei der ersten Präsidentschaft geht Trump diesmal deutlich radikaler und systematischer vor.
In Europa wird man sich genau anschauen müssen, was sich daraus lernen lässt. Im Partei-System der USA haben neben den Republikanern und den Demokraten dritte Parteien keine Chance auf Repräsentation. Deswegen müssen sich selbst extreme Stimmen in einer der beiden Parteien engagieren.
Es lässt sich nicht leugnen: die Partei der US-Republikaner steht derzeit auf der erfolgreichen Seite der Geschichte. Wenn die US-Demokratie diese Phase übersteht, wird es auch wieder in die andere Richtung gehen. Aber die USA werden eine andere Nation sein. Möglicherweise sogar dynamischer und innovativer als zuvor.
In Deutschland und Europa sollte ernst genommen werden, dass einige der „liberalen“ Positionen auf die Dauer die auch hier die Bevölkerung so verärgern wie in den USA. Deswegen gibt es in Deutschland die AfD, in Frankreich Mdm. Le Pen, in Österreich einen Herrn Kickl und in Spanien die rechtsradikale Partei Vox.
Amerika zuerst – Deutschland in Gefahr
Die USA sind nicht irgendein Land. Sie sind eine Supermacht mit einer dynamischen Wirtschaft und einem globalen Führungsanspruch, der auf einer starken Militärmacht basiert.
Deutschland und Europa sind in bei der äußeren Sicherheit fast vollständig von den USA abhängig. Eine NATO ohne die USA würde kein Abschreckungspotential mehr besitzen.
Schon Obama forderte die Europa auf, mehr für die Sicherheit zu tun- ohne eine Reaktion. Trump ist nicht so langmütig. Dass die USA mehr als das Doppelte (in % des BSP) ausgeben als Länder wie Deutschland wird nicht mehr hingenommen. Nicht einmal die verbindlichen NATO-Vorgaben hat Deutschland eingehalten. Und sich lieber einen üppigen Sozialstaat geleistet.
Eine isolationistische Grundeinstellung der USA ist in der historischen Perspektive nicht ungewöhnlich. Was heute vergessen ist: Weder 1914 noch 1939 wollten die USA sich in den europäischen Krieg ziehen lassen. Beide Male unterstützten sie die Gegner Deutschlands erst (1917 und 1941) erst, als sie dazu gezwungen waren.
Präsident Woodrow Wilson (1912-1920) gewann mit dem Versprechen, nicht in Europa einzugreifen, sogar 1916 noch seine Wiederwahl. Und Hitler musste im November 1941 den USA den Krieg erklären, bevor Präsident Roosevelt reagierte.
Neu ist das imperiale Auftreten der USA. Trump fordert den Panamakanal zurück, will Kanada zum 51. Staat machen und plant den Kauf von Grönland. Er imitiert dabei die Autokratien Russland und China.
Das kommt in Saratoga Springs gut an.
Deutschland braucht Golfspieler an der Spitze
Eine Mittelmacht wie Deutschland wird sich den neuen globalen Realitäten nicht entziehen können. Die Schutzmacht USA hat heute eine erkennbar andere innen- und außenpolitische Ausrichtung. Neben der Gefahr des Erstarkens extremer Parteien im Inneren wachsen die äußeren Bedrohungen, vor allem durch ein imperialistisches Russland.
Im Bundestagswahlkampf spielt der Umgang mit der neuen Weltlage keine große Rolle. Geboten wird ein Schauspiel um die Frage, wer mit wem für oder gegen die Abschiebung krimineller Asylbewerber sein darf. Dann streitet man sich erbittert um Geld für die bedrängte Ukraine. Der harte Umgangston unter den gemäßigten Parteien stärkt die radikalen Ränder. Politische Persönlichkeiten, die daraus ihre Schlüsse ziehen, sind nicht zu sehen.
Unsere aktuellen Parteipolitiker haben zu den gesellschaftlichen Veränderungen in den USA und den daraus folgenden Konsequenzen für Deutschland bisher nichts Gehaltvolles zu sagen.
Das Risiko eines bösen Erwachens ist groß. Die regelmäßig zu späten Entscheidungen des Bundeskanzlers Olaf Scholz haben der Ukraine in den letzten drei Jahren nicht ausreichend gegen die russische Invasion geholfen. Da war der ungarische Präsident Viktor Orban ehrlicher. Er denkt, Russland wird gewinnen. Wenn das so kommt, hat Scholz viele Milliarden Euro aus dem Fenster geworfen.
Meine Gesprächspartner in Brüssel bestätigen, was in allen Zeitungen steht. Deutschland ist kein relevanter europäischer Akteur mehr. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni führt derzeit die EU. Was an sich kein Problem ist, aber Italien hat nicht die Wirtschaftsmacht von Frankreich und Deutschland.
In Deutschland hoch gehandelte Themen wie die feministische Außenpolitik, die vereinfachte Geschlechtsumwandlung, die Freigabe von Cannabis und der Verzicht auf „Meine Damen und Herren“ bei der Tagesschau besitzen kein Zukunftspotential. Auch die deutsche Umweltpolitik, als Beispiel für den Rest der Welt konzipiert, funktioniert nicht. Sie ist so teuer und erfolglos, dass kein Land der Welt diesem Modell folgen wird. Das treibt die Wähler und Wählerinnen zu dumpfen Parteien.
Deutschlands Regierungen haben es in den letzten Jahren leider nicht geschafft, eine überzeugende europäische und geopolitische Vision zu vermitteln.
Klar ist: Deutschland braucht offene Märkte für seine Exportwirtschaft. Deutschland braucht kluge Köpfe aus der ganzen Welt, um als Industrieland führend zu bleiben. Deutschland braucht Partner, weil wir allein einem russischen Angriff allein wenig entgegenzusetzen haben. Da ist wenig Kohärentes zu hören, weder in Beuron noch in Berlin. Die kostspielige Finanzierung von Radwegen in Peru bringt jedenfalls nichts für unser Land. Genderprojekte in der arabischen Welt auch nicht.
Und wie mit Donald Trump umgehen? Ein Insider sagte kürzlich, man solle mit Trump auf den Golfplatz gehen und eine Runde spielen. Danach sei vieles einfacher. Spielen Scholz, Merz und Habeck annehmbar Golf? Es ist höchste Zeit, das herauszufinden.
Ergänzung zu ersten Kommentar:
Auch wenn ich viele Gedanken des Artikels teile, glaube ich nicht, dass die USA unter Trump „flexibler und innovativer“ wird, denn je. Das ganze Land wird jetzt für die Befriedigung von Machtphantasien einzelner herhalten müssen. Die Religion muss wieder als Steuerungselement für die Bevölkerung dienen. Das ist keine Atmosphäre für Innovationen. Während bisher die besten Wissenschaftler nach Amerika ausgewandert sind, könnte es sein, dass sich der Trend bald umkehrt, wenn saubere wissenschaftliche Arbeit dem Bauchgefühl der neuen Machthaber weichen muss.
Danke für die interessanten Gedanken: Die Energiewende wäre nicht so teuer wenn wir nicht sowohl bei Photovoltaik als auch bei Windenergie erst die Weltmarktführerschaft aufgebaut und dann mangels eigener Aufträge wieder kaputt gemacht hätten.
Langfristig ist die Energiewende trotzdem immer noch billiger als alle Alternativen, inklusive der Atomkraft.