Um 1925 gründete die Familie Böhler gegenüber der Kapelle den ersten Dorfladen in Neidingen. Der Dorfladen bei der Fallhütte ist nach 100 Jahren der zweite Laden für die Nahversorgung im Ort. BeuronBerlin hatte die Gelegenheit, mit Erika Utz, geborene Böhler, zu sprechen. Die alte Dame ist 101 Jahre jung und eine liebenswerte Zeitzeugin. Sie erinnert sich an interessante Details der Einzelhandelsgeschichte im Donautal.
Der Böhlersche Dorfladen
Der Standort in Neidingen war nicht schlecht gewählt. Denn die Straße nach Sigmaringen gab es anders als die Bahnlinie damals nicht. Die überörtlichen Wege verliefen quer durch das Donautal. Der Böhlersche Dorfladen befand sich an einer solchen Talquerung. Eine hölzerne Donaubrücke war auf dem Weg von Kreenheinstetten nach Stetten a.k.M. zu passieren.
Standort des ersten Dorfladens/Foto: Harald Sondhof
Alle, die hier unterwegs waren, kamen an dem Böhlerschen Dorfladen vorbei. In Hausen i.T., zwei Kilometer donauaufwärts gelegen, existierte in den 1920er Jahren wohl nur ein kleiner Laden von Fritz Schlude, so Erika Utz. Auch der Laden der Böhlers war klein. Im Angebot waren neben Gemüse und selbst gemachten Leckereien vor allem Dinge des täglichen Bedarfs wie Waschmittel, Seife und Salz. Viel, erzählt Erika Utz, habe das Geschäft nicht abgeworfen.
Außerdem hätten „die Bauern nur mit Eiern bezahlt, weil sie kein Geld hatten“. Der Dorfladen ihrer Eltern hatte jedoch den ersten Telefonapparat im Tal. Ein Indiz für die lokale Bedeutung des Ladens. Der Telefonapparat wurde später nach Hausen verlegt, von wo dann Gespräche von Hand weitervermittelt werden konnten.
Ein hartes Leben
Nach dem frühen Tod ihres Vaters betrieb Erikas Mutter das Geschäft einige Jahre allein weiter. Sie war regelmäßig mit einem Handkarren unterwegs, um die Bewohner von Neidingen und Hausen mit Waren zu beliefern. Die junge Erika arbeitete nicht in dem Laden. Aber sie ging oft den steilen Weg nach Stetten hoch, um in der dortigen Apotheke und in dem 1925 gegründeten Kaufhaus Pfeiffer Ware abzuholen.
Das alte Kaufhaus Pfeiffer (Foto: Freilichtmuseum Neuhausen o.E.)
Nach der Schule nahm Erika Böhler eine Stelle als Näherin in der Fabrik von Ammann & Bitzer an, die Mitte der 1930er Jahre in Hausen eine Fabrikation für Trikotagen aufbaute.
In welchem Jahre ihre Mutter den Laden schloss, kann Erika Utz heute nicht mehr genau sagen. Vermutlich schon Mitte der 1930er Jahre. Aber ihre Mutter lebte noch bis 1972 in dem Haus, in dem sich der erste Neidinger Dorfladen befunden hatte. Dann zog sie nach Hausen.
Edeka kommt ins Tal
An die Ankunft des nächsten Lebensmittelhändlers im Tal können sich noch mehrere Zeitzeugen erinnern. Um 1934 herum fuhr der Mühlinger Konstantin Beha mit einem Motorrad durch Hausen. Seine Frau auf dem Sozius. Den beiden gefiel der Ort und sie entschieden sich, einen Laden aufzubauen. Der erste Standort des neuen Geschäfts befand sich gegenüber dem Rathaus Hausen. Dort befand sich auch die Näherei der Firma Ammann & Bitzer.
Konstantin Beha trat der „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“ bei, abgekürzt „E.d.K“, heute Edeka. Damit war er Teil eines schon 1898 gegründeten Netzwerkes zur Belieferung von Lebensmittelhändlern mit einem großen Sortiment. Die Bevölkerung im Tal hatte davon einen großen Nutzen. Schulkinder kamen nach Ende des Unterrichts bei ihm vorbei und kauften sich, wenn sie konnten, etwas Süßes.
Das Geschäft lief gut genug, dass sich Konstantin Beha das erste Auto in Hausen anschaffen konnte. Es war, so die Überlieferung, ein Opel Blitz mit Holzvergaser. Mit diesem Fahrzeug brachte Konstantin Beha seine Waren nach Thiergarten, Neidingen, Langenbrunn und zu den Fürstenbergs auf Schloss Werenwag. Erzählt wird , dass er in seinem Auto auch Frauen zur Entbindung zum Arzt fuhr. Sehr bequem war es kaum.
Opel Blitz mit Holzvergaser/Foto: Kölner Modellbauforum
In Hausen bestanden nach dem 2. Weltkrieg bis zu drei Textilunternehmen, die vor allem Näherinnen beschäftigten. Daher hielt sich auch lange der kleine Laden der beiden Fräulein Stiele. Eine Zeitzeugin hat in ihrer Schulzeit dort Gummibärchen und ähnliches eingekauft. Der Laden hatte seinen Standort nicht weit vom Schulhaus, links an der Straße nach Schwenningen hoch. Die beiden unverheirateten Damen behielten ihren Laden bis in die 1960er Jahre.
Der Sohn von Konstantin, Heinz Beha, baute in den 1970er Jahren am Ortseingang von Hausen dann einen neuen Edeka-Laden. Auch die Familie Beha zog in das Gebäude ein. Heinz Beha blieb im Edeka-Verbund. Es ist bemerkenswert, dass die Geschichte des Lebensmitteleinzelhandels in Beuron lange mit einer Berliner Genossenschaft verbunden war.
Die Nahversorgung geht verloren
Ende der 1990er begann sich Edeka wie andere große Retailer auf größere Ladenflächen zu fokussieren. Nur etwa ein Drittel der Einheimischen erledigten ihre Einkäufe noch vor Ort. Preislich konnte das kleine Edeka in Hausen nicht mit den Supermärkten in Sigmaringen und Meßkirch mithalten. Der gute Service und das ausgezeichnete Sortiment reichten nicht.
Aus diesem Grund übernahm Marc Beha, der Sohn von Heinz Beha, mit seiner Frau 2008 in dritter Kaufmannsgeneration den wesentlich größeren Edeka-Laden in Mühlheim an der Donau. Es gab kurz die verrückte Idee von Urs Stiegler und Ihrem Berichterstatter, das Geschäft von Marc Beha in Hausen zu weiterzuführen. Aber sie erkannten schnell, dass das keine realistische Option war.
Eine Hausener Bürgerin betrieb danach einige Jahre ein kleines Geschäft, das vor allem von den Gästen des Campingplatzes genutzt wurde. Der zeitliche Aufwand war für die Betreiberin jedoch hoch. Vermutlich war am Monatsende auch nicht viel verdient. So schloss auch sie ihre Tür. Das war das Ende der Nahversorgung in Beuron.
Moderne Technologie, Synergien und Zivilschutz
Für einen kleinen Laden auf dem Land, der kein Geld verlieren soll, muss ein Konzept entwickelt werden, das auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt ist. Im Fall des Dorfladens bei der Fallhütte basiert das Konzept auf drei Säulen: moderner Technologie, Synergien mit der Fallhütte und einer Zivilschutzinitiative.
Der Zugang zum Dorfladen und die bargeldlose Bezahlung erfolgen über die kostenlose Lokbest-App. Dahinter steht ein bayerisches Unternehmen, dessen Technologie sich gerade in ganz Deutschland verbreitet. Im Vergleich zu Tante-M erlaubt Lokbest deutlich mehr Flexibilität im Betrieb.
Das Sortiment des Dorfladens bei der Fallhütte deckt den Alltagsbedarf vom Apfel bis zur Zahnbürste ab und umfasst auf 30 Quadradmetern etwa 150 Produkte. Die Erweiterung auf 300 Produkte ist vorgesehen und abhängig von der Nachfrage.
Das Neidinger Angebot richtet sich in erster Linie an Besucher der Fallhütte, die sich ein eigenes Vesper zubereiten möchten und an die Selbstversorger unter den Touristen. Natürlich kann die lokale Bevölkerung den Laden nutzen, wenn einmal etwas fehlt. Schon vor der offiziellen Öffnung kamen die ersten Kunden. Sie kauften u.a. Mehl, Obst, Eier, Ziegenkäse, Brot, Joghurt und Spaghetti.
Der nächste Supermarkt in Stetten a.k.M. ist genau 11.243 m entfernt. Mit dem Auto dauert das hin und zurück etwa 30 Minuten plus Benzin. Selbst mit einem 5-Liter-Verbraucher kostet die Fahrt also etwa 2 Euro. Das ist mehr als Preisaufschlag auf ein Produkt aus dem Dorfladen.
Der Dorfladen dient zudem als Vorratslager für die Familien, die in der Neidinger Zivilschutzinitiative vertreten sind. Etwa ein Viertel der gesamten Ladenfläche ist für die Vorratshaltung vorgesehen. Wie alle wissen, hat eine schwäbische Hausfrau immer von allem etwas als Vorrat zu Hause. Aber die gemeinsame Lagerung erleichtert das Ausleihen und Tauschen von Lebensmitteln, Haushaltswaren und Drogerieartikeln.
Vor allem, wenn es darauf ankommt.
Innenansicht des Neidinger Dorfladens/Foto: Harald Sondhof
Zusätzlich ist in dem Laden eine kleine Kinder- und Jugendbibliothek untergebracht.
Das nächste Projekt: Ein Steinofen fürs Dennetle-Backen
Im nächsten Jahr wird ein Steinofen zum Brotbacken vor der Fallhütte errichtet. Dann wird es wie in Leibertingen möglich sein, sein eigenes Brot und Dennetle für Touristen zu backen.
BeuronBerlin stellt für seine eigenen Projekte grundsätzlich keine Förder- oder Subventionsanträge. Denn vieles geht auch ohne das süße Gift der Subventionen. Das wird jeden Steuerzahler und jede Steuerzahlerin freuen.
Toll, ich freue mich drauf, dort demnächst einzukaufen, wenn ich das Wochenende in Hausen bin.
Danke für die Gelegenheit dazu!