Jeder kennt den Gummistiefelweitwurf, der in Finnland beliebt ist. Bekannt ist auch das Käserollen in England, das seit 200 Jahren immer wieder zu Verletzungen führt. Die Sportler müssen versuchen, einen runden Käselaib einzuholen, der einen steilen Hang hinunterrollt. Das Ulmer Fischerstechen auf der Donau gilt außerhalb Deutschlands als skurril und witzig.
Das arabische„Mheibes“-Spiel steht jedoch auf der Liste der ausgefallenen Nationalsportarten ziemlich weit oben. Es ist eines der schwierigsten Spiele der Welt. Verbreitet ist „Mheibes“ im arabischen Mittleren Osten, vor allem im Irak. Ausgesprochen wird der Name des Spiels ungefähr als „Emhibes“.
Die Spielregeln
Zwei Teams spielen um den Sieg. In dem Spiel geht es darum, einen silbernen Ring zu finden, den einer der Mitspieler des gegnerischen Teams in seiner Hand verborgen hat. Die Teams haben eine Größe von je bis zu 50 Spielern. Gespielt wird überwiegend während des Ramadan. Ein Schiedsrichter achtet auf die Einhaltung der Regeln.
Das Spiel beginnt in der Abenddämmerung und geht oft bis in die frühen Morgenstunden. Eine Spieldauer von acht Stunden ist nicht unüblich. Die Teams sitzen sich in mehreren Reihen gegenüber. Die erste Herausforderung innerhalb eines Teams besteht darin, den Ring in die rechte oder linke Hand eines eigenen Spielers gleiten zu lassen, ohne dass das gegnerische Team sieht, wer den Ring erhält.
Auch die eigenen Leute sollen nicht sehen, wer von ihnen den Ring hat. Denn das Wissen um das Geheimnis des Teamkameraden kann nervös machen. Um zu verhindern, dass das Pochen der Halsschlagader gesehen wird, tragen viele Spieler dicke Schals um den Hals.

Foto: Peter Panther
Im weiteren Verlauf ist die entscheidende Person der Teamkapitän. Er hat fünf Minuten, um einen Mann, es sind immer Männer, im gegnerischen Team anzusprechen. Dann ruft er ihm zu: „Fäuste und Gesicht!“. Der Angesprochene muss dem Teamkapitän drei Sekunden in die Augen schauen und dabei seine beiden Fäuste vorstrecken. Der Teamkapitän muss sich in den drei Sekunden entscheiden: Hat der Mann den Ring? Wenn ja, in der rechten oder in der linken Hand? Entweder er zeigt auf eine Hand des Mannes und ruft: Hier ist der Ring. Oder er klatscht auf beide Hände seines Gegners. Und zeigt damit an, dass dieser Mann den Ring nicht hat.
Wenn die Ansage richtig ist, erhält das Team einen Punkt. Ein angesprochener Spieler, der den Ring nicht hat, scheidet aus. Wenn der Teamkapitän falsch liegt, gibt es einen Punktabzug. So geht es hin und her. Die Zahl der Spieler nimmt im Laufe der Zeit auf beiden Seiten kontinuierlich ab.
Bis noch ein, zwei, drei übrig sind. Dann beginnt der eigentliche Kampf. Wer ins Schwitzen gerät, weil er den Ring hat, tut sich keinen Gefallen. Auf der anderen Seite müssen die Teamkapitäne bis zum Schluss hoch konzentriert die Gesichter der Spieler auf eine Regung prüfen.
Die Spannung steigt ins Unerträgliche. Der US-Journalist Jason Anthony beschreibt eine solche Szene aus dem Zentrum von Bagdad. Er war dort Zeuge eines Viertelfinales. Die Teams kommen zum Teil aus fernen Städten. Die Namen der Teamkapitäne sind vielen geläufig. Der Wettbewerb ist wie ein Tennisturnier strukturiert. Nur die siegreichen Teams kommen weiter.
Der gefährliche Alltag als Training
Es gibt Kapitäne von Mheibes-Teams, die weithin bekannt sind. Berühmt dafür, dass es ihnen regelmäßig gelingt, den Ring zu finden. Sie schauen auf die gegnerischen Spieler und durch sie durch. Dann sagen sie an, ob der Mann den Ring hat oder nicht. Oft schlagen sie auf die richtige Faust. Es kling unglaublich, ist aber wahr.

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Wie schaffen sie das? Eine Theorie ist, dass diese Männer in ihrem Leben immer wieder in Situationen waren, in denen sie ihr Gegenüber einschätzen mussten. Handelt es sich um Männer mit Mordabsichten? Sind es Spione? Oder einfache Menschen? Oft hing und hängt ihr Leben davon ab, eine Situation richtig einzuschätzen. Jason Anthony schreibt, in den arabischen Krisengebieten würden die besten Lügendetektoren der Welt leben. Wahrscheinlich hat er recht. Aber man wünscht ihnen, dass sie diese Fähigkeit auch in friedlichen Umgebungen entwickeln können.
Und was ist mit „Mafia“?
BeuronBerlin erfuhr durch einen Artikel von Jason Anthonyy in „Atlantic“, einer US-amerikanischen Monatszeitschrift mit geringer Auflage, aber großem Einfluss, von Mheibes.
Das Prinzip von Mheibes ist gibt es auch in Spielen, die hier bekannt sind. Viele haben schon „Mafia“ gespielt. Der Erfinder ist ein Russe namens Dimitry Davidoff. Er hat das Spiel 1986 in seiner Zeit als Psychologiestudent an der Moskauer Lomonossow-Universität entwickelt.
Für ihn bildete es den Konflikt zwischen einer informierten Minderheit (den Mafiosi) und einer uninformierten Mehrheit (den Bürgern) ab. Die Spieler müssen die Akteure auf dem anderen Lager umbringen, eliminieren oder einsperren.
Da gefällt Mheibes besser. Man gewinnt, wenn man die Akteure auf der anderen Seite zum Schwitzen bringt. Oder ihren Puls schneller schlagen lässt. Man muss sie nicht umbringen.