In Beuron gibt es Menschen, die kein Auto haben. BeuronBerlin hat einige der älteren Semester kennengelernt, die ständig befürchten müssen, den nächsten Arzttermin nicht wahrnehmen zu können. Oder die nicht wissen, wer ihnen die Lebensmittel mitbringt. Nach dem überraschenden Tod von Jürgen Matheis, der viele solcher Fahrten übernommen hat, ist ihre Lage noch schlechter geworden.
Denn der ÖPNV ist lückenhaft, vorsichtig ausgedrückt. Man kommt nach Sigmaringen mit der Linie 450. Aber wer woanders hin muss, ist auf das Auto angewiesen.
Obwohl Beuron mit seinen fünf Ortsteilen seit dem Jahr 1974 eine Gemeinde ist, funktioniert selbst der Schülerverkehr innerorts nicht. Deswegen lernen Kinder aus Beuron nur über die Kinderfeuerwehr ihre gleichaltrigen Freunde in Langenbrunn, Hausen, Neidingen und Thiergarten kennen.
Viele ärgern sich über die etwa 200.000 Touristen, die jährlich mit dem Auto oder dem Wohnmobil durch unsere Gemeinde fahren. Aber wegen der schlechten Bahnanbindung gibt es für Touristen auch keine akzeptable Alternative. Das gilt vor allem vor Gäste, die aus dem Ausland kommen. In Hausen i.T. halten gerade mal sieben Züge pro Tag.
Die Politik redet seit Jahren von dem Ausbau der Angebote von Bus und Bahn im ländlichen Raum. Bisher ist jedoch noch nicht viel davon zu sehen. So geht es nicht nur Beuron, sondern vielen ländlichen Gemeinden.
Schienen- und Straßenverkehre im ÖPNV
Zunächst einmal muss man wissen, dass die Infrastruktur für den Bahnverkehr, also das Schienennetz, Sache des Bundes ist. Wie für Fernstraßen gibt es auch für Schienenwege einen nationalen Ausbauplan.
Auf dem vorhandenen Schienennetz bestellen dann die jeweiligen Landesministerien bei Bahnunternehmen, welche Strecken sie wie oft bedient haben wollen.
Foto: Harald Sondhof
Der Busverkehr und alles, was über die Straße läuft, ist Sache der Landratsämter. Das ist sinnvoll, weil sie am besten die Verhältnisse vor Ort kennen.
Die Aufgabenteilung bedeutet in der Praxis, dass die Vernetzung von Bahn- und Busverkehren für den ÖPNV einigen Koordinationsaufwand erfordert. Und deswegen nicht immer gut funktioniert. Wie etwa in Beuron mit einem Bahnhof außerhalb des Hauptortes Hausen i.T., der seit Jahrzehnten eigentlich verlegt werden soll.
Fangen wir mit der Bahn an. Die Allianz pro Schiene ist die beste Quelle für alle, die erfahren wollen, wie sich in Deutschland der Schienenverkehr entwickelt. Im Jahr 2025 investiert der Bund mit knapp 20 Mrd. Euro erstmals etwa 50 Prozent mehr in Bahnstrecken als in das Straßennetz. In den nächsten fünf Jahren soll das Schienennetz mit 9.000 km wieder auf einem modernen Stand gebracht werden.
Allerdings ist das kein großer Schritt nach vorne. Es ist vielmehr das Nachholen von Versäumnissen der Vergangenheit. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland traditionell zu den Ländern mit den niedrigsten Pro-Kopf-Investitionen in das nationale Schienennetz.
Quelle: Allianz pro Bahn
Die Förderung des Schienenverkehrs war bislang keine politische Priorität. Man glaubt es kaum, aber bis 2024 wurden in Deutschland nach Auskunft des Eisenbahn-Bundesamtes mehr als 500 Bahnstrecken stillgelegt. Erst in den letzten Jahren beginnt die Planung zur Reaktivierung von alten Strecken.
Das Deutschlandticket ist vor diesem Hintergrund kritisch zu sehen.
Das Angebot ist nur für Bürger und Bürgerinnern attraktiv, die im Umfeld von größeren Städten leben, wo es viele Bus- und Bahnverbindungen gibt. Und für Menschen, die die Zeit haben, langsam durch die Republik zu reisen. Denn die Schnellstrecken des ICE und des IC muss man weiter bezahlen.,
Das Ticket kostet Bund und Länder jährlich etwa 3 Mrd. Euro. Diese Mittel entsprechen etwa 30 Prozent der Summe, die bisher jährlich in das Schienennetz investiert wurde. Vielleicht wäre das Geld besser in den Ausbau des ÖPNV in den ländlichen Regionen geflossen.
In ländlichen Gebieten findet das Deutschlandticket keine große Nachfrage. Weil es wenig Angebote gibt, die eine Autofahrt ersetzen können.
Wie steht Baden-Württemberg da?
Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg in Stuttgart stellt auf Nachfrage von BeuronBerlin eine Statistik in den Vordergrund, die es gut aussehen lässt. Im nationalen Vergleich liegt Baden-Württemberg bei den Bahnlinien, die wieder in Betrieb genommen werden sollen, vorne.
Quelle: Verkehrsministerium Baden-Württemberg
Baden-Württemberg schneidet aus Sicht der ÖPNV-Nutzer insgesamt allerdings nicht gut ab. Trotz einer seit 2011 amtierenden grün geführten Regierung liegt das Land bestenfalls im Mittelfeld. Selbst wenn man die drei Stadtstaaten außen vor lässt.
Quelle: Allianz pro Bahn
Auf der regionalen Ebene der Landkreise gibt es ein differenziertes Bild. Bayern, ein Bundesland, das insgesamt noch schlechter als Baden-Württemberg abschneidet, verzeichnet immerhin zwei Landkreise in den Top 10. Das bedeutet, dass bei starkem lokalen Engagement einiges möglich ist.
Quelle: Allianz pro Bahn
Der für Beuron zuständige Landkreis Sigmaringen landet übrigens nach den Recherchen von BeuronBerlin auf Platz 167 von insgesamt 294 Landkreisen. Das ist nicht gerade toll. Aber es liegt nicht nur am Landratsamt Sigmaringen, sondern auch an den Gemeinden im Landkreis.
Die Rolle der Landratsämter für den Busverkehr
Die Landratsämter halten unser Land buchstäblich in Bewegung. Sie organisieren für die Auto-lose Bevölkerung die Busverkehre, die im ländlichen Raum aus der Schülerbeförderung bestehen. Dafür gibt es Geld für die Busunternehmen. Die Schüler und Schülerinnen müssen morgens rechtzeitig in der Schule sein, und nach dem Unterricht wieder nach Hause fahren können.
Wer sich wundert, warum tagsüber so große Busse leer durch das Donautal und andere ländliche Gegenden fahren: Das sind dieselben Busse, die vor allem morgens kaum genug Plätze für alle Schüler haben. Bis zum Abend fahren die Busse einige Male hin und her. Im Fall von Beuron ist so immerhin ein einigermaßen gutes Nahverkehrsangebot nach Sigmaringen gegeben. Aber wer nach Meßkirch, Stetten a.k.M. oder nach Ebingen fahren möchte, hat kein vernünftiges ÖPNV-Angebot.
Bushaltestelle außerhalb der Schülerverkehre/Quelle: Pixabay
Es gibt in Deutschland ein grundsätzliches Problem für den ländlichen ÖPNV. Die Botschaft des Stuttgarter Verkehrsministeriums in der E-Mail vom 3. März 2025 an BeuronBerlin zeigt das auf: Ohne kommunale Initiative passiert im ÖPNV gar nichts. Auf der anderen Seite haben viele ländliche Kommunen kein großes Interesse an einem besseren ÖPNV. Weil die Bürgermeister und Gemeinderäte selten mit dem Bus oder der Bahn fahren.
Die dazwischen agierenden Landratsämter erstellen zwar gute Nahverkehrspläne, die Schiene und Straße umfassen. Aber sie haben nicht die Zuständigkeit und nicht die Mittel, um diese Pläne zum Nutzen der Bevölkerung auch umzusetzen.
Einfach ausgedrückt: Ein Landratsamt kann weder die notwendige Verlegung eines Bahnhofs in eine Ortsmitte bestellen, noch kann es Bürgermeister verpflichten, sich um den ÖPNV zu kümmern.
Bei den Busverkehren bekommen die Landratsämter durch eine Direktive der Europäischen Kommission in der Zukunft mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Die Einführung neuer Buslinien war bisher sehr schwierig. Das bis vor kurzem geltende Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit und die historisch entstandenen Konzessionsnehmer machten es fast unmöglich, neue Linien einzurichten. Die Freiheit, Linien bedarfsgemäß neu auszuschreiben, werden viele Landratsämter nutzen. Mit oder ohne Mitwirkung der ländlichen Obrigkeit und trotz der formalen Auflagen für europaweite Ausschreibungen. Aber der abgestimmte Schienenverkehr bleibt ein Problem.
Gäbe es flächendeckend einen öffentlichen, mit der Bahn abgestimmten Nahverkehr, mit Rufbussen und on-demand-Verkehren, wie er bisher zumindest teilweise in einigen Kreisen (z.B. Tübingen, Tuttlingen, Zollernalb) angeboten wird, wären die Bevölkerung und viele ältere und jüngere Menschen auf dem Land besser dran.
Kompliziert wird das Ganze dadurch, dass mit dem Kreistag ein weiterer Akteur involviert ist. Die Mittel für einen erweiterten ÖPNV müssen dem Landratsamt von diesem Gremium erst einmal freigegeben werden. Das ist nicht immer gesichert. Jedenfalls ist der Kreistag ein Akteur, der auch noch eingebunden werden muss.
Der bundesdeutsche Föderalismus ist ein Hindernis.
Die Kommunen müssen sich engagieren
BeuronBerlin hat diese wichtige Erkenntnis gewonnen: Es gibt keine übergreifende Instanz, die den ÖPNV flächendeckend in den ländlichen Gemeinden verbessert. Wenn, wie in Falle der Gemeinde Beuron, nur gelegentliche Anfragen an die zuständigen Stellen gerichtet werden, darf man nicht viel erwarten.
Das Landratsamt lädt die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aller Gemeinden im Kreis immer wieder zu Treffen ein, in denen der ÖPNV diskutiert wird. Beuron ist jedoch regelmäßig nicht vertreten.
Dabei kann sich das Bohren dieses dicken Brettes namens ÖPNV lohnen. Das beweist die Inbetriebnahme des Bahnhaltepunktes in Mühlheim a.d.D. im Jahr 2016. Federführend war hier die IG Donaubahn unter Leitung des Tuttlinger Oberbürgermeisters. Der neue Bahnhof brachte Tuttlingen eine Entlastung des Autoverkehrs durch Berufstätige, die in dem Medizintechnik-Cluster der Stadt arbeiten.

Seit 2016: Neuer Haltepunkt der Bahn in Mühlheim a.d.D.
Makabre Notiz am Rande: Über den neuen Haltepunkt freute sich in einem Youtube-Video auch der frühere Beuroner Bürgermeisterdarsteller Rapha. Obwohl die tägliche Haltefrequenz des Regionalexpresses am Bahnhof in Hausen i.T. deswegen um die Hälfte sank. Aber das wusste er womöglich gar nicht.
Was kann eine ländliche Gemeinde wie Beuron tun?
Die Donaubahn zwischen Sigmaringen-Inzigkofen und Tuttlingen ist eine der schönsten Bahnstrecken Deutschlands. Sie hat nicht nur eine lange Geschichte, sondern auch schon viel bessere Zeiten gesehen.
Quelle: Donaubergland Marketing und Tourismus GmbH
Wie man nichts erreichen kann, stand beispielhaft im Amtsblatt von Beuron vom 27. März 2025.
Der dortige Bürgermeister Hans-Peter Wolf berichtete über ein Gespräch mit dem Landratsamt Sigmaringen. Dieses informierte ihn über eine von BeuronBerlin an das Landratsamt weitergeleitete E-Mail des Stuttgarter Verkehrsministeriums, das offenbar nichts für die Donaubahn tun will.
Der Bürgermeister stellt dann laut Amtsblatt fest, dass Rufbusse vom Landratsamt nicht angeboten werden.
Abschließend, so berichtet das Beuroner Amtsblatt, wird die Einführung von „Mitfahrbänken“ für Menschen aus der Gemeinde ohne eigenes Auto mit abstrusen Argumenten vom Gemeinderat abgelehnt.
In Beuron abgelehnt/Foto: Harald Sondhof
So begann und endete das Beuroner Engagement für ländliche Mobilität. Da fehlen einem die Worte.
Hier sind ein paar Tipps, was man tun könnte:
Neugestaltung der Hausener Ortsmitte
Der Hauptort der Gemeinde Beuron, Hausen i.T., besitzt einen der trostlosesten öffentlichen Räume Deutschlands. Es bietet sich an, die Verlegung des Hausener Bahnhofes in die Ortsmitte mit einer Sanierung der Ortsmitte zu verbinden. Das würde die übergeordneten Stellen zum Handeln aufffordern.
Alle Experten, die BeuronBerlin in den letzten Monaten gesprochen hat, weisen auf das zentrale Hindernis für einen besseren ÖPNV in der Gemeinde Beuron hin. Der Bahnhof von Hausen i.T. liegt knapp einen Kilomater außerhalb des Hauptortes von Beuron. Es gibt nicht einmal einen durchgehenden Fußgängerweg für Bahnfahrer, die mit ihrem Koffer in Hausen i.T. aussteigen.
Eine Gemeinde, die 700.000 Euro für ein unnötiges Neubaugebiet ausgibt, hätte durchaus die Mittel, um eine weitgehend mit Fördermitteln finanzierte Umgestaltung der Ortsmitte von Hausen zu stemmen. BeuronBerlin kennt die Telefonnummern im Regierungspräsidium, die zu kontaktieren sind.
Teilnahme an den Fahrplankonferenzen
Nach Kenntnis von BeuronBerlin hat in den letzten Jahrzehnten kein Vertreter der Gemeinde Beuron an den Fahrplankonferenzen der Nahverkehr Baden-Württemberg (NVBW) teilgenommen. Das sollte sich ändern. Denn die Konferenzen sind wichtig:
„Bei der jährlichen Fahrplanerstellung wirken verschiedene Instanzen in einem mehrstufigen Prozess zusammen. Dabei gilt es, die unterschiedlichen Belange beteiligter Akteure zu berücksichtigen. Zweimal jährlich veranstaltet die NVBW eine Serie von jeweils 14 Fahrplankonferenzen. Partner bei diesen Konferenzen sind die Industrie- und Handelskammern in Baden-Württemberg. Zu den Teilnehmern gehören die Landkreise als Aufgabenträger für den Busverkehr, die Verkehrsverbünde, die Regionalverbände, Kommunen und Verkehrsunternehmen sowie die Fahrgastverbände in der jeweiligen Region.“
Allein die regelmäßige Teilnahme würde signalisieren, dass Beuron den ÖPNV zukünftig ernst nimmt.
Kontakte zu Landratsamt und Verkehrsministerium
Außerdem muss Zeit in das Netz der überörtlichen Ansprechpartner investiert werden. Wenn die gewählten Vertreter der Gemeinde Beuron einen besseren ÖPNV haben wollen, werden sie viel Unterstützung finden.
Man sollte auch systematisch verfolgen, was in anderen Gemeinden möglich ist. In den letzten Jahren gab es einige innovative Ansätze. Ein Beispiel: BW Rider, eine App , die im Zollernalbkreis im Einsatz ist.
Ein runder Tisch vor den Landtagswahlen
Um die nötige Aufmerksamkeit bei den übergeordneten Stellen zu erhalten, sollte, so die Empfehlung der Beauftragten der Allianz pro Schiene in Baden-Württemberg, Annette Sawade, ein Runder Tisch in Beuron organisiert werden. Dazu sollten alle politischen Entscheidungsträger eingeladen werden, die bei dem Ausbau des ÖPNV in Baden-Württemberg mitsprechen.
Die nächste Landtagswahl ist in unserem Bundesland voraussichtlich am 8. März 2026. Zeit genug, um diesen Runden Tisch zu planen.
Vielen Dank an meine Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen!
Der ÖPNV ist ein schwieriges Thema. Viele Stellen haben BeuronBerlin wertvolle Informationen gegeben: Neben einigen Landratsämtern sind das Verkehrsministerium in Stuttgart, die Allianz pro Bahn in Berlin und deren Vertreterin in Baden-Württemberg, Annette Sawade, sowie die Autoren des aktuellen Nahverkehrsplan des Landkreises Sigmaringen zu nennen. Das sind nicht alle. Aber alle haben Mut gemacht. Ihre Aussage: Es ist lohnt sich, für den Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs zu kämpfen.